Stettfelder Abendvorträge 2022
Dieser Seite entnehmen Sie bitte die Berichte der Stettfelder Abendvorträge 2022.
Mein Nachbar der Germane - Überlegungen zu den Ausgrabungen in Heddesheim
Dr. Sven Jäger vom Landesdenkmalamt stellte am 28. April 2022 eine in einer Schleife des Altneckars gelegene Siedlung vor, die 2013 im Vorfeld der Erschließungsarbeiten für ein Wohngebiet entdeckt wurde. Die bis zuletzt in den Sommer 2019 hinein durchgeführten Ausgrabungen erschließen inzwischen größere Flächen der einstigen Siedlung. Bereits die erste Sichtung des Materials, das 2013 bis 2014 während Ausgrabungen der Reiss-Engelhorn-Museen geborgen wurde, ließ darauf schließen, dass das Siedlungsareal bereits in der frühen Eisenzeit locker besiedelt war und dann nach einer langen Pause ab der frühen Kaiserzeit von Neckarsweben wieder aufgesucht wurde. Doch dann sehr intensiv und dauerhaft, denn das Fundmaterial deckt ohne Unterbrechung einen Zeitraum vom 1. bis 5. Jahrhundert n. Chr. ab. Auch wenn die offenbare Kontinuität dieser germanischen Siedlung über den Limesfall hinaus eine für die Forschung bedeutende These ist, so ist ein anderer Faktor mindestens ebenso wichtig: Die germanische Materialkomponente im Fundmaterial bleibt bis weit in das 3. Jahrhundert existent und wurde nach der römischen Okkupation des rechtsrheinischen Gebiets im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts offensichtlich nicht durch die provinzialrömische Kultur verdrängt. Doch wie kann das sein, war doch die Siedlung Heddesheim kaum mehr als 2 Kilometer von der nahen Zentralsiedlung Ladenburg mit seinen Kastellen und städtischen Großbauten entfernt? Nur einen Steinwurf weg von den Grubenhütten und Werkplätzen der germanischen Siedlungsstrukturen lag zudem ein römischer Steinbau, eventuell der Rest einer römischen Villa. Hätte dies nicht zu einer umfassenden Wandlung der Lebensweise führen müssen? Der Referent kam letztlich zum Ergebnis, daß das bisher veröffentlichte Fundmaterial keinen eindeutigen Schluß zuläßt und man abwarten müsse, was die weiteren Grabungen ergeben.
Schriftliche Alltagskommunikation der Römer
Zum Thema Schriftliche Alltagskommunikation der Römer referierte am 10. Mai 2022 der in Stettfeld durch seine gediegenen Vorträge inzwischen wohlbekannte Professor Markus Scholz aus Frankfurt. Hierbei wurden nicht die Stein- und Monumentalinschriften behandelt, sondern alles, was sich auf anderen – zumeist vergänglichen – Materialien wie z. B. Papyrus, Holz und Bleiplättchen erhalten hat.
Auf die vorrangige Frage, welcher Prozentsatz der Bevölkerung des römischen Reiches denn lesen und schreiben konnte, gibt es keine verlässliche Antwort. Antike Statistiken hierzu sind – wenn es sie denn überhaupt gab – nicht erhalten, so dass man nur mit Schätzungen arbeiten kann. Generell wird man feststellen können, dass der Bildungsgrad im hellenisierten Osten des Reiches höher war als im Westen und dass die Angehörigen der Oberschicht sowie Kaufleute des Lesens und Schreibens kundig waren. Aber auch der einfache Soldat musste zumindest den Solderhalt quittieren können. Wer römischer Bürger sein wollte, durfte jedenfalls kein Analphabet sein. – Öffentliche Schulen waren unbekannt, es gab nur teuren Unterricht durch Privatlehrer. William Harris meint in seinem Buch „Ancient Literacy“, dass – auch unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede – nur geringe Prozentsätze der Bevölkerung lesen und schreiben konnten, z. B. 5 – 10 % in den westlichen Provinzen, nicht mehr als 15 % in Italien und etwa 20 % der Einwohner Pompejis. Allerdings vernachlässigt er hierbei die alltäglichen schriftlichen Zeugnisse. Zum Vergleich: in Pompeji gibt es ca. 800 Stein- und Monumentalinschriften, hingegen ca. 10000 alltägliche Inschriften. – Wenn auch oder gerade weil viele schriftliche Zeugnisse klimatisch bedingt verloren gegangen sind, wird man wohl von etwas höheren Prozentsätzen als Harris ausgehen können, vor allem im Osten des Reiches.
Anschließend gab der Referent einen ausführlichen Überblick über das, was sich denn alles an Zeugnissen der Alltagskommunikation erhalten hat. Hier seien beispielhaft nur aufgezählt: Schreibübungen, oft auf Keramikscherben; Kurznachrichten auf dünnen Holzplättchen, wie man sie in großer Zahl im britischen Kastell Vindolanda fand wie eine Bierbestellung von Soldaten beim Kommandanten; militärische Tagesmeldungen; Steuerurkunden (z. B. die der Babatha aus Israel von 127 n. Chr.); Fluch- und Schadenszauber; Glückwünsche auf Gold- und Silbertäfelchen; Zahlungsanweisungen; Preislisten; Anhänger aus Bleiblech für Körbe und Säcke mit Angabe des Inhalts; in Keramik eingeritzte Töpferabrechnungen mit den Töpfernamen und der Zahl hergestellter Gegenstände; und schließlich die Inschriften auf Sklavenhalsbändern.
Über 30 Zuhörer, die sich trotz steigender Coronainfektionszahlen zum Vortrag gewagt hatten, dankten dem Referenten mit herzlichem Applaus für seine hochinteressanten und lebendigen Ausführungen.
“Vom Hades zum Olymp” - Eine antike Monumentalvase aus Süditalien und ihr mythologischer Kosmos
Am 31.Mai 2022 referierte Susanne Erbelding vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe über die im Landesmuseum befindliche sog. Unterweltsvase.
Diese Vase (Inv. Nr. B 4), datierend in die Mitte des 4. Jh. v. Chr., ist eine sehr seltene monumentale Prachtvase und ein Kulturgut von nationalem Rang. Seine besondere Bedeutung besteht nicht nur in der ungewöhnlichen Qualität, der kunsthistorischen Relevanz oder der aussagekräftigen Zeitzeugenschaft für unser Verständnis der antiken Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Das Objekt ist außerdem ein Meilenstein der regionalen sowie nationalen Sammlungs- und Institutionsgeschichte. Aufgrund seiner Provenienz bzw. Akquise im 19. Jahrhundert steht es auch im Kontext der Gründung der Karlsruher Antikenkollektion. Seit 185 Jahren fasziniert der kunst- und kulturhistorische Facettenreichtum des Prunkgefäßes Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Der 1,22 m hohe Volutenkrater aus dem italienischen Ruvo in Apulien, der antiken Polis Rhyps, stammt aus der Blütezeit der griechisch geprägten Städtelandschaft Unteritaliens, der Magna Graecia. Funktional handelt sich um ein Grabmonument, ein Zeugnis der in Unteritalien besonders luxuriös ausgeprägten Sepulkralkultur. Bei der kunsthistorischen Einordnung fällt sofort die außergewöhnliche Monumentalität des Gefäßes ins Auge. Diese stellte für die antiken Töpfer eine enorme handwerkliche und herstellungstechnische Herausforderung dar, das Maximum des in dieser Zeit mit dem Werkstoff Keramik Erreichbaren. Als herausragend präsentiert sich ebenso die Qualität des Dekors, die Vasenmalerei. Die Linienführung imponiert gleichzeitig mit Akkuratesse und Dynamik, die Verwendung von verschiedenen farbigen Engoben und Deckfarben verleiht dem Gefäß eine eindrucksvolle Polychromie. Mit der Funktion des Objekts in engem Zusammenhang steht die Thematik seiner Bilder, welche insbesondere die Unterwelt bzw. das Leben nach dem Tod – zumindest ein potentielles Szenario daraus – porträtieren. Im Zentrum der Hauptansichtsseite thronen die Gottheiten der Unterwelt, Hades und Persephone, in ihrem Palast, richtend über Heroen und Heroinen der griechischen Mythologie: Sisyphos, Theseus, Herakles, Orpheus, die Danaiden. Auf der Gegenseite besiegt der Held Bellerophon, umgeben und scheinbar mental unterstützt von einer Gruppe Olympischer Götter, das feuerspeiende Ungeheuer Chimaira, das personifizierte Verderben. Diese Darstellungen geben einerseits Aufschluss über die Jenseitsvorstellungen der unteritalisch-griechischen Kultur, andererseits über das Weltbild des Menschen in der Polis-Gesellschaft der Magna Graecia während der spätklassischen Epoche.
Die sog. Maler’sche Unterweltsvase gehört zu den ersten Erwerbungen für die auf Großherzog Leopold von Baden (1790-1852) zurückgehende staatliche Antikensammlung Karlsruhes. Diese wurde für die 1837 politisch beschlossene, 1846 als eines der ersten öffentlichen Museen Deutschlands eröffnete heutige Karlsruher Kunsthalle begründet.
Im Rahmen einer ersten systematischen Akquise von Antiken für das neue Museum beabsichtigte man, archäologische Originale von Italiens Ausgrabungsstätten vor Ort zu kaufen. Mit diesem Unterfangen wurde 1837 der vielseitig gebildete Friedrich Maler (1799-1875), studierter Architekt und Schüler Friedrich Weinbrenners, beauftragt. Bereits seit 1834 fungierte er als großherzoglicher Diplomat im Vatikan und war dauerhaft im Kirchenstaat ansässig. In Rom pflegte der Kunstagent des Großherzogs Kontakte zu Gelehrten und Künstlern. Seine Korrespondenz mit den badischen Behörden lässt vermuten, dass er sich auf diese Weise profunde altertumswissenschaftliche Fachkenntnisse aneignete, aber auch Netzwerke aufbaute, welche ihm zum Erwerb interessanter Antiken verhalfen. Zu diesen zählt, wie seinen Gesandtschaftsberichten zu entnehmen ist, auch eine „große Prachtvase aus Ruvo“: der Unterweltskrater.
Seit 1846 ist das Gefäß in den staatlichen Museen Karlsruhes ausgestellt, zunächst in der Kunsthalle, ab 1875 im Museum für großherzogliche Altertümer am Friedrichsplatz. 1919, im Gründungsjahr des Badischen Landesmuseums, ging es in dessen Besitz über, um dort bis heute das Herzstück einer der ältesten und bedeutendsten Kollektionen antiker Vasen in Deutschland zu bilden.
Leider war die Besucherzahl dieses hochinteressanten Vortrags sehr überschaubar. Ob es nun auf den (Nach)Wirkungen von Corona oder auf anderen Gründen beruhte – man hätte der versierten Referentin ein größeres Auditorium gewünscht. Herzlicher Applaus der kleinen Zuhörerschaft.
Alte Schriftkultur und antike Überlieferung im Kloster Lorsch
Knapp 30 Zuhörer fanden sich am 29.11.2022 im Römerkeller zu einem Stettfelder Abendvortrag ein, der sich einmal nur am Rand mit der Antike befasste. Prof. Tino Licht von der Universität Heidelberg referierte nämlich über „Alte Schriftkultur und antike Überlieferung im Reichskloster Lorsch“. Das 764 gegründete Kloster Lorsch entwickelte sich rasch zu einem kulturellen Schwerpunkt. Das Kloster besaß eine der größten Bibliotheken des Mittelalters, die um 1560 der Heidelberger Bibliotheca Palatina einverleibt wurde. Nach der Zerstörung Heidelbergs durch die Franzosen kam der Großteil der Bibliothek in die Vatikanische Bibliothek nach Rom, wo er sich heute noch befindet. Der Rest ist weltweit auf weitere 72 Bibliotheken verstreut. Nach Ausweis von vier erhaltenen Bibliothekskatalogen, die zwischen 830 und 860 angelegt wurden, versammelte man im 9. Jh. ca. 500 Codices in Lorsch.
Durch ein einzigartiges Projekt wurden die heute davon noch erhaltenen über 300 mittelalterlichen Handschriften virtuell zusammengeführt: https://www.bibliotheca-laureshamensis-digital.de
Die Lorscher Schreibwerkstatt (Scriptorium ) war anfangs noch insular-irisch beeinflusst. Einige Schreiber lassen sich identifizieren. Mehrere Schreiber können an einem Text gearbeitet haben (unterschiedliche Handschriften). Es werden christliche Texte (u.a. viel Augustinus) sowie antike Schriftsteller (u.a. viel Vergil) kopiert. Die Schreibweise vereinheitlicht sich im Lauf des 9. Jh. derart, dass man unterschiedliche Schreiber nur mit Mühe erkennen kann. Die Fertigung eigentlicher Handschriften läuft Ende des 9. Jh. aus, dafür werden dann Bücher (Evangeliare) für andere Abnehmer erstellt. Im Gegensatz zur hohen Qualität der Handschriften war die Lorscher Buchmalerei nur mittelmäßig.
Nach der Blütezeit bis zum Ende des 9. Jh. kam es im 11.Jh. noch einmal zu einer „silbernen Blüte“.
Eines der Hauptwerke ist der sog. Codex Laureshamensis (Lorscher Kodex). Die Handschrift dokumentiert den Grundbesitz der bedeutenden Reichsabtei Lorsch zur Zeit ihrer Niederschrift, gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Der Besitz erstreckte sich damals vom Gebiet der heutigen Niederlanden bis in das der Schweiz. Die Bedeutung der Handschrift liegt u.a. darin, dass in den in ihr überlieferten über 3.800 Urkundenabschriften (sog. Regesten) mehr als 1.000 Ortschaften hauptsächlich Süd- und Westdeutschlands erstmals erwähnt werden.